Matthias Bertram im Porträt

Wacher Zeitgenosse mitInteresse für die Geschichte der Region

Wacher Zeitgenosse mit
Interesse für die Geschichte der Region

Für seine Recherchen rekonstruierte Matthias Bertram auch die Lage des ehemaligen jüdischen Bethauses in Dernau. HG

Walporzheim. Er lebt ganz in der Gegenwart, vertieft sich aber auch gern in die Geschichte. In der Welt ist er viel herumgekommen, hält aber zugleich an seinen Wurzeln fest. Die Rede ist von Matthias Bertram, der im Kreisstädter Ortsteil Walporzheim lebt und in diesem Sommer sein Buch „... in einem anderen Lande - Geschichte, Leben und Lebenswege von Juden im Rheinland“ herausbrachte.

Im „Unruhestand“

Beim Gespräch im hellen Wintergarten über ihn und seine Interessen ist Matthias Bertram auskunftsfreudig, aufgeschlossen und entspannt, ganz so, wie es von einem Mann, der seit Mai dieses Jahres in Rente ist, erwartet werden darf. Doch liegt die Sache beim Winzersohn, der 1950 in Dernau zur Welt kam, ein wenig anders. Tatsächlich hält der „Unruhestand“ einstweilen an: „Ich arbeite ja über mein Unternehmen GWE Engineering Solutions auch noch ein wenig. So zusammen mit dem Consultant GAUFF Engineering, Nürnberg für ein Wasserversorgungs- und Bohrprojekt in Lubango/Angola und mit dem Ingenieurbüro Bieske & Partner in Lohmar für eine Grundwassersanierung im Hochland von Toluca/Mexiko.“

Spannende Projekte hat er auch in der Vergangenheit geleitet, nachdem er 1975 an der RWTH Aachen sein Bauingenieurstudium abschloss. Dabei dachte die Familie früher, „ich würde einmal Pfarrer werden“. Als in den 50er Jahren Mariannhill-Studenten Kalender in Dernau und Umgebung verkauft und bei der Familie Bertram übernachtet hatten, „kam die Idee auf“. Im Alter von elf Jahren besuchte der Junge daher als Internatsschüler ein Gymnasium der Missionare von Mariannhill im Münsterland, ein ehemaliges Trappistenkloster. Die Mariannhiller müssen Eindruck in Dernau gemacht haben.

„Zehn Leute kamen von der Ahr, acht von Dernau. Ich war der Erste“, weiß Matthias Bertram noch und zählt die anderen auf, „Eddy Bertram, zwei Näkels, zwei von Kastenholz, beide Riskes".

Von Pipeline- bis Brunnenbau

Manches in seinem Werdegang sollte sich anders entwickeln als zunächst geplant. „Nach dem Studium wollte ich im Bereich Rheinland arbeiten, kam aber nach Hannover, ich wollte im Spezial- und Tiefbau tätig sein, habe aber 23 Jahre im In- und Ausland bei der Preussag gearbeitet, anfangs in der Offshoretechnik“.

Es folgte ein Pipeline-Projekt im arabischen Golf vom Festland zu einer Insel, Pipelinebau, so eine „Megapipeline“ aus Russland über die Tschechei bis in die Gegend Nürnbergs, 1979 dann Brunnenbau und Wasserversorgung in Nigeria, wo im Auftrag der ersten Zivilregierung „40 Brunnen, 40 Wassertanks und 40 Wasserhähne“ installiert wurden. Bis heute kommen die ehemaligen Kollegen alle zwei Jahre zum Nigeria-Treffen zusammen: „Das war damals eine sehr gut eingespielte Truppe."

Ende 1981 kehrte Matthias Bertram nach Deutschland zurück. Im Jahr darauf war er in Essen im Brunnenbau tätig und wurde 1990 Niederlassungsleiter in Darmstadt.

Zwischenzeitlich hatte er geheiratet, war Vater zweier Söhne geworden. Von 1994 bis 1998 musste er in Hannover als Geschäftsführer der Preussag Wasser und Rohrtechnik GmbH die Umstrukturierung vornehmen, „bei der alles, was Technik ist, ausgelagert wurde“. Sein schmerzlicher Gesichtsausdruck lässt ahnen, wie belastend diese Aufgabe war. In den vergangenen Jahren war er beschäftigt und ist weiterhin befasst mit der Beratung für Projekte der Wasserversorgung, Bohrtechnik und des Brunnenbaus seines eigenen in Ahrweiler ansässigen Ingenieurbüros GEW German Water & Energy Engineering Solutions.

Reflektierender Rückblick

„Bis 1998 gab es wenig Freizeit“, sagt Matthias Bertram. Dennoch regte ihn bereits der Tod des Vaters 1985 an, verstärkt über Vergangenes zu reflektieren. Er begann Notizen zu den Juden in Dernau zu machen, empfand, „das müsste man festhalten“. Ihn bewegte, was seine Angehörigen erlebt hatten. Seine Großmutter Elisabeth Kreuzberg, Nachbarin der Familie Bär in der Teichgasse, hatte, als Nazi-Trupps in der „Reichskristallnacht“ 1938 den Bärs die Fenster zerschlugen, deren auf der Straße verstreute Wertgegenstände gesichert und wurde deshalb wochenlang inhaftiert. Matthias Bertrams Vater Willibald war während der Zerstörung beim Abfüllen im Weinkeller. Später kam er in den Hof der Nachbarn: „Da saß der alte Moses Bär zusammengekauert und hat geweint. Mein Vater bedauerte später, ihn nicht angesprochen zu haben."

Matthias Bertram spürte fortan der Geschichte der Dernauer Juden und den Lebenswegen der Familien in Ahrweiler, Neuenahr, Siegburg und Weilerswist nach. Er knüpfte auch zahlreiche Kontakte zu Nachkommen der jüdischen Familien von der Ahr in Israel, den USA, den Niederlanden, England, Kanada und Argentinien. Ein Hinweis führte zum nächsten. Die Recherche entwickelte Eigendynamik, die sogar griff, wenn die Namen nicht mehr dieselben waren. „Kaum war das Buch für den Druck freigegeben, kam es zum Kontakt mit den Nachkommen der Familie Karl Schweitzer, die Töchter Gerda und Hilde und der jüngste Sohn Walter, die in England vor den Nazis Schutz gefunden hatten. Der kleine Walter Schweitzer war in London bei einer jüdischen Familie untergebracht und später recht erfolgreich im Immobiliengeschäft. In den fünfziger Jahren änderte er seinen Familiennamen von Schweitzer auf Swindon (Name einer Vorstadt von London). Sein Sohn Charles Swindon ist heute im internationalen Metallhandel tätig und seine Tochter Ruth Swindon betreibt eine Buchhandlung in London.“

Gegen das Vergessen

Schon 2011 kam Matthias Bertrams Büchlein „Ech sinn dann enns fott“ heraus über die Dernauer Auswanderer Heimermann, Creuzberg, Winten, Sebastian und andere, darunter etwa der Goldwäscher Josef Ley. Auch über die Leyendeckers, eine Dernauer Künstlerfamilie im Paris des 19. Jahrhunderts, hatte Matthias Bertram neue Erkenntnisse gewonnen und festgehalten. Manchen Einblick verschafft er sich zudem dank kreativer Einfälle und seiner grafischen Ader. Die hätte ihn fast Grafikdesign studieren lassen und ist für ihn seit zwei Jahren in Acryl, Aquarell und Radierung ein weiteres Betätigungsfeld. Um zu ermessen, wie das einstige jüdische Bethaus zwischen den Dernauer Häusern angesiedelt war, fotografierte er das Gebäude mit dem Teleobjektiv vom Krausberg aus. In einer Zeichnung verschränkte er diese Ansicht sodann mit der historischen Bausituation von 1850.

Vieles, was Matthias Bertram umtreibt, lässt sich in seinem Internetauftritt www.ahr-eifel-rhein.de verfolgen. 2001 begonnen, hat er die dort eingestellten „Geschichten und Geschichte im Zusammenhang mit der Region Ahr, dem Saffenburger Land, dem Ort Dernau und den Vorfahren der Bertrams“ stetig fortgeschrieben und ergänzt. Einem sich so aufmerksam und tatkräftig aufs Leben einlassenden Mann wie ihm gehen die Projekte natürlich nicht aus. Nach dem Gespräch bricht er unverzüglich zum nächsten Treffen auf. Es geht um den jüdischen Friedhof in Dernau, der ein neues Tor braucht.