Stadtrat Bad Neuenahr traf schwerwiegende Entscheidung

Sanierung des maroden Kurpark-Ensembles ist sachgerecht nicht mehr möglich

Sanierung des maroden Kurpark-Ensembles ist sachgerecht nicht mehr möglich

Am Übergang zwischen der kleinen und der großen Konzerthalle überzeugten sich die Mitglieder des Stadtrates davon, dass sich hier unter anderem der Boden um fünf bis sieben Zentimeter in Richtung Trinkhalle abgesenkt hatte. -Jost-

Sanierung des maroden Kurpark-Ensembles ist sachgerecht nicht mehr möglich

Stützen aus Stahl wurden mittlerweile im Keller der Konzerthalle eingebracht, um die Standsicherheit zu gewährleisten.

Sanierung des maroden Kurpark-Ensembles ist sachgerecht nicht mehr möglich

Solche Betonstücke hatte der Sachverständige Dr. Ingenieur Dirk Tuchlinski von den Stützpfeilern unter der kleinen Konzerthalle mit bloßen Händen abreißen können

Bad Neuenahr. Nicht gerade erfreulich war das, was der Stadtrat in seiner jüngsten Sitzung über den Zustand der Liegenschaften im Bad Neuenahrer Kurpark erfuhr. Dr. Ingenieur Dirk Tuchlinski (Köln) hatte die Standsicherheit insbesondere der kleinen Konzerthalle im Kurpark untersucht und war zu geradezu erschütternden Ergebnissen gekommen: „In meiner ganzen Laufbahn habe ich noch nie so schlechte Werte für die Materialfestigkeit gesehen wie bei den Pfeilern und dem Mauerwerk im Keller der kleinen Konzerthalle“, konnte er nur den Kopf schütteln. Sein vernichtendes Urteil: „Die ganze Konstruktion hat ihre Nutzungsdauer weit überschritten, und man kann froh sein, dass sie die 80 Jahre bislang überstanden hat.“ Eine sachgerechte Sanierung sei nach seiner Ansicht nicht mehr möglich und die Kosten dafür unverhältnismäßig hoch. Mit einigen Sicherungsmaßnahmen könne man das Objekt immerhin noch eine gewisse Zeit nutzen, doch auf Dauer müsse man sich über eine andere Lösung Gedanken machen.

2012 von der Aktiengesellschaft Bad Neuenahr übernommen

2012 habe die Stadt den ganzen Kurpark mit seinen Liegenschaften von der Aktiengesellschaft Bad Neuenahr gekauft, erinnerte Bürgermeister Guido Orthen (CDU) an die Vorgeschichte. Schon damals habe man für die aufstehenden Gebäude nichts bezahlt, weil die bauliche Substanz nicht mehr bewertbar gewesen sei. Im Februar 2013 habe man deshalb mit Überlegungen begonnen, wie man künftig den Kurpark gestalten wolle und ein Interessenauswahlverfahren für die Kurkolonnaden und die Konzerthalle in die Wege geleitet. Doch die Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE) habe ihr Veto eingelegt, und das sei noch immer gültig.

Zum Hintergrund: Die städtischen Gebäude am Rande des Kurparks werden im „Nachrichtlichen Verzeichnis der Kulturdenkmäler“ der GDKE als Teil der Denkmalzone „Kurgartenstraße Kurbezirk“ geführt. Den Gebäuden selbst, mit Ausnahme der drehbaren Konzertmuschel komme allerdings kein Denkmalwert zu, so Orthen. Ein eventueller Abbruch von Gebäuden innerhalb einer Denkmalzone bedürfe jedoch einer Genehmigung nach dem Denkmalschutzgesetz. Deshalb müsse der bauliche Zustand der Gebäude gutachterlich untersucht werden.

Lebensdauer der verarbeiteten Baustoffe überschritten

Bereits unmittelbar nach dem Erwerb habe die Stadt eine umfangreiche Bauschäden-Dokumentation erarbeitet und der Unteren Denkmalschutzbehörde bei der Kreisverwaltung Ahrweiler sowie der GDKE zu Kenntnis gebracht. Bereits da sei deutlich geworden, dass der Bauzustand der Liegenschaften zu wünschen übrig ließ, da die zu erwartende Lebensdauer der einst verarbeiteten Baustoffe deutlich überschritten sei. Die Gebäude seien in den 1930er Jahren kurz vor dem Krieg errichtet worden und hätte nun 80 Jahre Nutzung hinter sich. Zudem gebe insbesondere die energetische Beschaffenheit der Gebäudehüllen und die Wärmeverteilung ein desaströses Bild ab, denn ein ressourcenschonender Umgang mit Energieträgern habe in den 1960er Jahren, als die Heizung nachträglich eingebaut wurde, in der öffentlichen Wahrnehmung nicht stattgefunden.

Ein Gutachten des Denkmalschutz-Experten Dr. Geert Dahms habe weiterhin deutlich gemacht, dass mit Ausnahme der drehbaren Konzertmuschel nichts an den Liegenschaften mehr dem Originalzustand entspreche. Fassadenelemente seien geschlossen, Fenster, Türen und Dächer den aktuellen Erfordernissen mit mehr oder weniger fachgerechtem Aufwand angepasst worden. Epochentypische Ausstattungselemente wie Bodenbeläge, Beleuchtungskörper und sogar die historischen Trinkbrunnen seien ohne Rücksicht auf das geschichtliche Gesamtensemble dem jeweiligen Zeitgeschmack entsprechend angepasst oder gar ersatzlos entfernt worden.

Schon beim Bau wurden schlechte Materialien verwendet

Um den schlechten Zustand der Gebäude zu dokumentieren, habe die Stadt im Oktober 2016 die Kölner Ingenieurgesellschaft TTN, staatlich anerkannte Sachverständige für die Prüfung der Standsicherheit, mit weiteren Untersuchungen zur Standsicherheit beauftragt. Nach den Erkenntnissen der ersten Objektuntersuchungen habe man zur weiteren Beurteilung der Bausubstanz die Materialprüfungs- und Versuchsanstalt Neuwied GmbH hinzugezogen, die durch mehrere Bohrkernentnahmen die Materialbeschaffenheit der Kurparkliegenschaften analysiert habe.

Zusammenfassend habe sich gezeigt, dass das statische System insbesondere der kleinen Konzerthalle seine Funktion nicht mehr erfülle. Stützen, Bewehrung, betonierte Kelleraußenwände und Fundamente dieses Bereichs seien dermaßen geschädigt, dass ein statischer Nachweis nicht mehr möglich sei. Die Ursachen hierzu die schlechten Materialien, die schon beim Bau der Gebäude verwendet worden seien und die das Ende ihrer Lebensdauer unwiederbringlich erreicht hätten. Im Bereich der kleinen Konzerthalle seien deshalb durchgängig von Keller bis zum Dach Notstützen einzubauen, um einen Weiterbetrieb zumindest für einen begrenzten Zeitraum zu sichern. Infolge dieser geplanten Abstützung sei dann der innere Bereich der kleinen Konzerthalle nicht mehr nutzbar. Rettungswege und Toilettenzugänge rund um den abgestürzten Bereich können jedoch weiterhin genutzt werden. Ein Teil der Stützen sei bereits eingebaut worden.

Übergangsbetrieb

soll gewährleistet werden

Die Konstruktion der großen Konzerthalle stelle sich, bezogen auf den Zustand der Stützkonstruktion, zwar etwas besser dar. Sie sei allerdings nicht in der Lage, größere Windlasten aufzunehmen. Deshalb sei hier zusätzliche steigende Konstruktionen aus Stahl erforderlich. Orthen wies ausdrücklich darauf hin, dass es sich lediglich um Maßnahmen zur Sicherung der Konstruktion handele, die darauf abzielten, einen Übergangsbetrieb zu gewährleisten. „Es wird aufgrund der bereits von Beginn an schlechten Bauwerksqualität nicht möglich sein, das System dauerhaft statisch den geltenden Vorschriften anzupassen. Die vorhandene Bausubstanz ist nicht sanierungsfähig.“

Das bestätigte Prüfingenieur Tuchlinski, der nicht nur von Rissbildungen und bei Berührung abbrechenden Betonteilen berichtete, sondern auch feststellte, dass der minderwertige Beton nicht mehr in der Lage sei, den Stahl vor Korrosion zu schützen. „Der Beton zerbröselt unter der Hand, man kann problemlos Stücke von einem halben Meter Länge abbrechen“, schüttelte er den Kopf. Die Karbonatisierung des Betons sei ungewöhnlich hoch, dafür die Druckfestigkeit unglaublich gering. Normalerweise halte der Beton in einem normalen Einfamilienhaus einen Druck von 25 Newton pro Quadratmillimeter aus, im Keller der kleinen Konzerthalle seien es im Durchschnitt nur 6,5 und stellenweise sogar lediglich 4,6 Newton. Wenn man die gültige DIN-Norm EN 13791 anwende, komme sogar widersinnigerweise ein negativer Wert heraus.

Zerfallsprozess wird

noch weiter voranschreiten

„Der hier verwendete Beton war noch nie für diesen Zweck geeignet – und das schlimme ist, dass der ganze Zerfallsprozess noch weiter voranschreitet.“ Er sei jedenfalls der Ansicht, dass eine Sanierung sachgerecht nicht möglich und eine Standsicherheit des Bauwerks rechnerisch nicht mehr nachweisbar sei. Er habe bereits die Abstützung der Kellerdecke mit Stahlstützen veranlasst. An anderen Stellen, etwa im Bereich des Großen Sprudel, seien bereits zuvor Stahlträger zur Sicherung eingebaut worden. Aber auch die Deckenkonstruktion der kleinen Konzerthalle erfordere zusätzliche Abstützungen, um die Nutzung für eine gewisse Zeit noch aufrechterhalten zu können. Wenn man nichts zur Abstützung tue, gebe es nur noch die Alternative, die Konzerthalle komplett zu sperren. Auch im Bereich der großen Trinkhalle habe sich der Boden bereits deutlich um fünf bis sieben Zentimeter in Richtung Trinkhalle abgesenkt, hier seien ebenfalls Maßnahmen zur Erhöhung der Tragfähigkeit erforderlich.

„Kein Zweifel, es besteht ganz dringender Handlungsbedarf, um die Sicherheit der Besucher weiterhin zu gewährleisten“, signalisierte Werner Kasel die Zustimmung der SPD-Fraktion zu den Sicherungsmaßnahmen, die insgesamt 40.000 Euro kosten sollen. Auch Christoph Kniel (CDU) sah dazu keine echte Alternative. Anders Dr. Jürgen Lorenz (Wählergruppe Jakobs), der sich ebenso wie die meisten anderen Stadtratsmitglieder und einige interessierte Bürger am Nachmittag bei einer Ortsbesichtigung ein Bild vom baulichen Zustand der Kellerräume der Kurparkliegenschaften gemacht hatte.

Handlungsbedarf und

Sanierungsstau war vorher klar

„Auch vorher war allen Beteiligten klar, dass es Handlungsbedarf und einen Sanierungsstau gibt. Die Gebäude sind nun mal eben 80 Jahre alt und weisen an manchen Stellen entsprechende Mängel auf“, sagte Lorenz. In Erstaunen versetze ihn nur, dass ausgerechnet jetzt, wo sich eine Gruppe von Bürgern für den Erhalt der historischen Entwicklung des Bades stark mache, zwei Gutachten beauftragt würden, die massive Veränderungen in der Bausubstanz sowie eine nicht mehr gegebene Standsicherheit der Gebäude dokumentierten. Zudem werde die Denkmalwürdigkeit des Kurparks überhaupt in Zweifel gezogen.

„Für mich sind die Schritte in der falschen Reihenfolge. Wenn zuerst die Vermarktung betrieben wird und später Gutachten über den Bauzustand erstellt werden, drängt sich mir der Gedanke einer legitimierenden Begründung auf“, äußerte er sein Unverständnis. Die Gebäude im Kurpark gehörten aber „zu unserer Identität und unserer Heimat“, sie sei ein Stück von Bad Neuenahr, das weggerissen werden solle. Wenn es jedoch um die Sicherheit der Besucher gehe und Gefahr in Verzug sei, dann müsste man konsequenterweise die komplette Nutzung der Liegenschaft sofort einstellen. „Bei einem so schlechten Bauzustand hätte die Eröffnungsfete der Uferlichter dort nicht stattfinden dürfen“, schüttelte er den Kopf und bat um eine sachorientierte Diskussion. Auf konkrete Nachfrage von Orthen stellte er jedoch keinen entsprechenden Antrag auf Sperrung der Gebäude.

Sanierung sollte

an erster Stelle stehen

Nicht einverstanden mit dem Vorschlag der Verwaltung war auch Wolfgang Huste (Die Linke). Schließlich seien sich die in der Deutschen Stiftung Denkmalschutz tätigen Denkmalpfleger, Kunsthistoriker und Architekten einig, dass die Kuranlagen in Bad Neuenahr in ihrem Gebäudecharakter erhalten bleiben müssten. „Ein Erhalt in Form einer Sanierung des Gebäudeensembles sollte hier immer an erster Stelle stehen, nicht der Abriss“, so Huste. Die Kuranlagen nach dem Entwurf von Hermann Weiser zählten zu den herausragenden Beispielen der Neuen Sachlichkeit.

„Warum hat die Stadt es so weit kommen lassen, warum hat sie den enormen Renovierungsstau nicht schon vor Jahren abgebaut und der Kur AG damals nicht mehr zugesetzt, hier entsprechend tätig zu werden?“, fragte Huste. Was großes Gelächter und Kopfschütteln im Rat auslöste, zumal er dann auch noch ergänzte: „An diesem Beispiel kann man wieder einmal sehen, wohin die Privatisierung des vormals öffentlichen Eigentums führt.“ Denn tatsächlich war es genau umgekehrt, das ursprüngliche Privateigentum der Aktiengesellschaft wurde erst 2012 in öffentliches Eigentum überführt. Die Linke setze sich jedenfalls dafür ein, so Huste weiter, dass nun die einmalige Chance verwirklicht werde, die damaligen Pläne des Architekten Hermann Weiser in der ursprünglichen Form zu realisieren. Er wünschte auch ein Gutachten, das die Kosten für eine Kernsanierung in Relation zu einem Neubau nachvollziehbar und transparent gegenüberstelle. „Meine Forderung lautet: nicht nur die Orchestermuschel, sondern auch die Kurkolonnade, die Wandelhalle, ebenso den Konzert- und Lesesaal in ihrem baulichen Charakter auch für nach uns folgende Generationen erhalten.“

Historischen Entwurf

mit modernen Materialien

verwirklichen

Wolfgang Schlagwein (Grüne) hingegen erhielt Zustimmung aus allen Fraktionen für seinen Vorschlag, bei einer eventuellen Neubaulösung einen historischen Entwurf mit modernen Materialien und Techniken zu verwirklichen. Dafür sei ein Wettbewerb für die Neugestaltung des Gebäudeensembles sinnvoll, um die historische Architektur in die Neuzeit zu überführen. Man brauche eine Lösung, die dauerhaft trage, „denn wenn ein fauler Zahn auch noch wackelt, ist eine neue Füllung keine Lösung.“

So stimmten am Ende alle Ratsmitglieder für den Vorschlag der Stadtverwaltung, die geplanten Sicherungsmaßnahmen zur Aufrechterhaltung des Betriebs der Konzerthalle durchzuführen. Lediglich Huste enthielt sich. Über das weitere Vorgehen werde man in Bälde entscheiden müssen, machte Orthen klar.