Autorenlesung bei der Caritas Mayen klärt über das Leben Obdachloser auf
„Auch ich hänge am Leben“
Mayen. Bis zur Rente war Arno Becker Sportlehrer für Behinderte. Heute interessiert er sich für Parallelwelten und wirbt für Verständnis z.B. gegenüber Flüchtlingen, Tätowierten oder Obdachlosen. Um mehr über das Leben von Obdachlosen zu erfahren, machte Becker im Obdachlosencafé „Mampf“ in Koblenz ein ungewöhnliches Jobangebot: 12 Euro die Stunde für ein Buchprojekt. Das Ergebnis präsentierten Arno Becker und Coautor Christoph Schrat (54) im Caritas-Mehrgenerationenhaus St. Matthias in Mayen. Im Buch „Fast das Leben verpennt“ berichtet Christoph Schrat von seiner Obdachlosigkeit und wie er auf die schiefe Bahn geriet. In Mayen erzählte er von seinem Leben: „Ich hatte immer schon gedacht, über mein Leben ein Buch zu schreiben. Da kam die Anfrage gerade recht. Und ich merkte, dass mir das Erzählen guttut.“ Heute hat Christoph Schrat eine kleine Wohnung und Arbeit.
Durch seinen alkoholabhängigen Vater kam Christoph Schrat sehr früh mit Alkohol und später mit Drogen in Berührung. Er verlor den Anschluss an ein geregeltes Leben. Als Kind erlebte er seinen gewalttätigen Vater als „nicht ablehnend“, sondern „zerstörend“. Das Kind hat keinen Anwalt.“ Oft enttäuscht ist seine Hündin Lillifee seine einzige Freundin, der er heute vertraut. „Ich mag dich ohne Vorbedingungen“: das spürt er bei Lillifee. Ein Satz, den er von einem Menschen noch nie gehört hat.
Heute muss Christoph Schrat nur noch selten mit Pappbecher und Decke ausgerüstet zu seiner „Sitzung“ gehen. Da sind Passanten, die ihm Rat-Schläge geben, andere erzählen ihm ihr ganzes Leben und Schrat erfährt auch Verachtung, wenn Leute ihn beschimpfen, mit Gegenständen nach ihm werfen oder nach seinem Becher treten, um an das erbettelte Geld zu kommen. Vor der kalten Jahreszeit fürchten sich Obdachlose, weiß Christoph Schrat aus eigener Erfahrung, wenn die Kälte von unten heraufzieht und man total auskühlt. Runterziehend sind auch allgemeine Vorurteile, etwa, dass „alle“ Obdachlosen alkohol- und drogenabhängig seien. Und Arno Becker erwähnte dagegen die Charité-Studie (2008), wonach 42 Prozent aller Obdachlosen alkoholabhängig sind und lediglich 17 Prozent Drogen, vor allem Cannabis, konsumieren. Still wurde es im Café CaTI, als die beiden Referenten auch das Thema Suizid ansprachen. Einmal hielt ihn der Blick seines Hundes und die Frage, „was wird dann aus Lillifee“, vom letzten Schritt ab, ein andermal hatte Christoph Schrat großes Glück und konnte gerettet werden. Christoph Schrat: „Es war kein Teufelskreis, sondern eine Teufelsspirale.“ Und da war es, sein „Scheißegal-Gefühl. Alles egal! Sogar mein Leben ist mir egal! Und auch das Leben anderer Menschen“. Logik gab es für ihn nicht. „Das Leben folgt der Logik eines Menschen, der von da ganz unten eine völlig andere, völlig irrationale Perspektive hat. Hemmschwellen gab es keine. Es ging nur noch um mich und meine eigene Leere!“ Dabei wollte Christoph Schrat eigentlich nur eins, „ein anderes Leben“. Heute resümiert er über diesen Abstieg: „Als Amokläufer bin ich ungeeignet. Als Selbstmörder auch. Vielleicht wollte auch mein Hinterstübchen, dass es nicht klappt. Auch ich hänge am Leben.“
Die Zuhörerrinnen und Zuhörer dankten Christoph Schrat für seine Offenheit und den Mut, über sein Leben zu sprechen. Ebenso galt der Applaus Arno Becker, ohne dessen väterliche Begleitung das Buch nicht geschrieben und so die Lebenswelt von Obdachlosen verschlossen und damit weiter von Vorurteilen behaftet geblieben wäre.
Das Buch „Fast das Leben verpennt! – Einblicke in meine Parallelwelt“ von Christoph Schrat und Arno Becker ist über kontakt@muellerjungs.de oder bei Amazon erhältlich.
Pressemitteilung
Caritasverband
Rhein-Mosel-Ahr e.V.
