Interview mit Lukas Radbruch zur Eröffnung des Eröffnung des SAPV-Stützpunktes
Sicherheit, um in Ruhe zu Ende zu leben
Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina spricht am 18. Mai zur offiziellen Eröffnung des SAPV-Stützpunkts für den AW-Kreis in Heimersheim
Heimersheim. Seit 2007 haben Menschen mit einer unheilbaren, weit fortgeschrittenen Erkrankung, die eine spezialisierte oder besonders aufwendige Versorgung benötigen, Anspruch auf eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung, kurz SAPV. Das ist im fünften Sozialgesetzbuch verankert. Im Kreis Ahrweiler hat es aber bisher keine SAPV gegeben. Die Hospiz im Ahrtal gGmbh, die auch Träger des stationären Hospizes in Bad Neuenahr-Ahrweiler ist, ändert das und feiert am Mittwoch, 18. Mai, um 17.30 Uhr in der Landskroner Festhalle, Im Bülland, in Heimersheim die offizielle Eröffnung des SAPV-Stützpunktes, der unter einem Dach mit dem Hospiz-Verein Rhein-Ahr im Bethel Hotel zum Weinberg, Hauptstraße 62, am Bad Neuenahrer Bahnhof angesiedelt ist.
Hauptredner bei der Feierstunde ist Professor Dr. Lukas Radbruch, Direktor der Klinik für Palliativmedizin am Universitätsklinikum Bonn und Leiter des Zentrums für Palliativmedizin am Malteser Krankenhaus Bonn/Rhein-Sieg, bis 2021 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin und seit 2019 Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
Jeder Mensch hat das Recht in Würde zu sterben, proklamieren alle, die in der Hospiz- und Palliativbewegung tätig sind. Was heißt das für Sie als einer der führenden Palliativmediziner in Deutschland?
Lukas Radbruch: In Würde sterben heißt zunächst einmal ohne schweres körperliches oder seelisches Leid. Für die meisten Menschen heißt in Würde sterben auch: zuhause in der vertrauten Umgebung, und mit den geliebten Menschen um sich herum. Für andere Menschen kann in Würde sterben aber auch die Möglichkeit zum Rückzug bedeuten. Wichtig ist also, für jeden schwerkranken Menschen neu herauszufinden, was für ihn Würde bedeutet.
Sie sind als Klinikleiter im stationären Bereich tätig. Wie betrachten Sie die Stärkung der ambulanten Versorgung?
Radbruch: Auf der Palliativstation findet vor allem eine Krisenintervention statt, und ich bin sehr froh, wenn die Patient*innen dann zuhause oder im Pflegeheim gut ambulant weiter hospizlich und palliativ begleitet werden. Der ambulante Hospizdienst mit den ehrenamtlichen Mitarbeitenden, das SAPV-Team mit den Palliativexperten und das Netzwerk mit niedergelassenen Ärzten, Pflegediensten, Apothekern und vielen anderen sind dafür unerlässlich.
Was wird die größte Aufgabe und vielleicht auch die größte Herausforderung für das Team des neuen SAPV-Stützpunkts sein, das für den Kreis Ahrweiler und die angrenzende Verbandsgemeinde Vordereifel sowie die Stadt Mayen zuständig ist?
Radbruch: Zum einen ist es immer schwierig, so eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung neu aus der Taufe zu heben. Vorurteile bei Patient*innen und Ärzt*innen zur Palliativversorgung müssen überwunden werden, und Vertrauen aufgebaut werden. Zum anderen ist es in einem ländlichen Bereich wie der Voreifel nicht einfach, mit den großen Fahrtstrecken bei jedem Hausbesuch und den weiten Entfernungen zur nächsten Palliativstation oder zum nächsten Hospiz eine gute und enge Versorgung zu organisieren.
Ihr Vortragstitel lautet: „Bis zuletzt Zuhause – ambulante Palliative Versorgung – Ausblick“. Worauf genau werden Sie blicken?
Radbruch: In den letzten Jahren ist in der Palliativversorgung in Deutschland – ambulant und stationär – viel erreicht worden. Wir sind mittlerweile aus der Pionierphase heraus und Teil der medizinischen Regelversorgung geworden. Aber es gibt immer noch große Aufgaben: die Versorgung in ländlichen Bereichen wie in der Eifel, die Versorgung in Pflegeeinrichtungen, die Versorgung von schwerstkranken Menschen mit anderen als Krebserkrankungen, bei denen teilweise andere Schwerpunkte gesetzt werden müssen und andere Regeln gelten. Als große gesellschaftliche Aufgabe bleibt, Krankheit, Sterben und Tod aus dem medizinischen Ghetto heraus zu holen zurück in die Mitte der Gemeinschaft, zum Beispiel durch einen offenen Umgang mit Sterben und Tod oder durch Konzepte wie fürsorgliche Gemeinden.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Februar 2020 das seit 2015 bestehende Gesetz zum Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung aufgehoben. Wie stehen Sie dazu?
Radbruch: Ich bin besorgt über eine zu liberale Regelung der Suizidbeihilfe. In der täglichen Arbeit erleben wir immer wieder Patient*innen mit Todeswünschen, auch mit dem Wunsch nach Suizidbeihilfe, die aber nur selten damit eine Handlungsaufforderung verbinden. Oft geht es um Kommunikation oder um mögliche Alternativen. Ich habe Angst, dass eine Freigabe der Suizidbeihilfe dazu führt, dass zu schnell gehandelt wird, und nicht mehr gemeinsam mit den Betroffenen nach Alternativen gesucht wird.
Wie gehen Sie und Ihr Team im Klinik-Alltag damit um, dass seitdem immer mehr Patienten nach Suizidhilfe fragen?
Radbruch: Wir haben lange Diskussionen und einiges an Training in unseren Behandlungsteams zum Umgang mit Wünschen nach Suizidbeihilfe gehabt. Wie bei allen Todeswünschen möchten wir solche Wünsche zunächst einmal hören und respektieren. Wir versuchen Alternativen zu benennen, und stellen klar, dass wir selbst keine Suizidbeihilfe leisten werden, weil wir dies nicht mit den Prinzipien unserer Einrichtung vereinbaren können.
Oft sind es ja auch nicht nur Schwerstkranke Menschen mit entsprechenden Leiden, sondern auch Menschen mit aus medizinischer Sicht behandelbaren Erkrankungen sowie körperlich gesunde Menschen, die nach einer assistiertem Suizid fragen….
Radbruch: Tatsächlich werde ich als Vorsitzender von mehreren Ethikkomitees auch immer wieder wegen solcher Wünsche nach Suizidbeihilfe angefragt. Solche Situationen sind immer sehr komplex. Oft können wir Alternativen wie den freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken oder den Verzicht auf lebenserhaltende Behandlungen (wie Dialyse) anbieten. Aus der politischen Perspektive finde ich es bedauerlich, dass wir in Deutschland über ein Gesetz zur Suizidbeihilfe diskutieren, aber kein Gesetz zur Suizidprävention haben, was vielleicht viel notwendiger wäre.
Was kann die SAPV dazu beitragen, dass die Menschen wieder weniger Suizidwünsche haben?
Radbruch: Die Angst vor schwerem körperlichen Leid ist bei vielen Menschen ein Grund für den Wunsch nach Suizidbeihilfe. Die Sicherheit, die das SAPV Team geben kann, dass körperliches und seelisches Leid gelindert werden kann, reicht für viele Menschen aus, um ihre Leben in Ruhe zu Ende leben zu können, ohne dass es um jeden Preis verlängert oder ohne dass es abgekürzt werden muss. Damit kann die Philosophie der Palliativversorgung umgesetzt werden: Nicht dem Leben mehr Tage, aber den Tagen mehr Leben geben!
Zur Person
Professor Dr. Lukas Radbruch wirkt als Arzt, Anästhesiologe, Palliativmediziner und Hochschullehrer. Der gebürtige Niedersache studierte ab 1979 Medizin in Bonn, wo er 1986 auch promovierte. Nach der Habilitation im Jahr 2000 in Köln war er an der RWTH Aachen tätig und übernahm 2010 die Leitung des Zentrums für Palliativmedizin am Malteser Krankenhaus Bonn/Rhein-Sieg sowie der neu eingerichteten Klinik für Palliativmedizin am Universitätsklinikum Bonn. Der heute 63-Jährige war von 2014 bis 2021 Präsident der „Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin“ und wurde 2019 in der Sektion Chirurgie, Orthopädie und Anästhesiologie als Mitglied in die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina aufgenommen.
Pressemitteilung
Hospiz im Ahrtal gGmbh
