Ein kleiner Sensationsfund
Ernst Loebs Artikel „Andernach, kleine alte Stadt am Rhein“
Andernach. Noch in diesem Jahr will die Stadtverwaltung Andernach ein umfangreiches Buch über den jüdischen Mitbürger Ernst Loeb (1914-1987) herausgeben, der 1936 nach Palästina und 1938 in die USA emigrierte. Die Familie, seine Frau Margot und sein Sohn Dennis, stellten dafür zahlreiche bisher unbekannte Nachlassmaterialien zur Verfügung. Auch zahlreiche Korrespondenzen von Ernst Loeb mit Andernacher Bürgern liegen nun erstmals vor.
Ein nahezu „weißer Fleck“ war bisher die Zeit zwischen 1950, dem ersten mehrwöchigen Besuch Ernst Loebs in Andernach, und dem Jahr 1966. Von da an hielt er sich fast jährlich in der Stadt auf. Sicherlich gab es auch in den 50er Jahren Kontakte und Briefwechsel, aber nichts davon war auffindbar.
Bürgermeister Claus Peitz freut sich, dass Dr. Klaus Schäfer im Juni im Fundus des Museums auf einen Brief von Ernst Loeb an Dr. Johann Füth, Andernachs Oberbürgermeister von 1949 bis 1964, vom 2. Oktober 1952 gestoßen ist, in dem Ernst Loeb auf eine Sonderseite „Andernach“ in der Philadelphia Gazette Democrat hinweist.
Ernst Loeb arbeitete während seines Studiums Redakteur und Übersetzer bei der deutschsprachigen „Philadelphia Gazette-Democrat“, auch um während des Studiums zum Lebensunterhalt seiner der Familie beizutragen. Die Forschung Die Recherchen, die der Leiter des Städtischen Museums, Dr. Kai Seebert, unternimmt, führen „überraschend schnell und erfreulich positiv“ - wie er selbst sagt - zum Erfolg. Mitte Juli 2023 wird Loebs Artikel in Andernach in Andernach. Die ganzseitige, kleingedruckte Sonderseite „ANDERNACH“ vom 28. September 1952 bietet gleich mehrere Überraschungen.
Unter der Überschrift „ANDERNACH, kleines altes Städtchen am Rhein“ - das klingt wie eine Liebeserklärung - erwartet man zunächst einen sehr Rückblick auf Andernach vermuten. Doch weit gefehlt: Ernst Loeb schreibt eine Stadtgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart.
Und Ernst Loeb geht ins Detail. Das gilt nach dem historischen Rückblick auf die Stadtgeschichte vor allem für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein Beispiel: „Im weiteren Südostgelände vor den Toren der Stadt wirkt und arbeitet die Industrie der verschiedenen Wirtschaftszweige, die der Stadt Andernach eine gesunde finanzielle Grundlage und Stabilität verleihen. In großen, langgestreckten Hallen produziert der Rasselstein, ein Kaltwalzwerk, vor allem Weissband, einen kaltgewalzten Bandstahl, Dynamostahl und legierten Bandstahl. Mehre Metallgießereien erzeugen Metallformguss, Rotguss, Bronze, Phosphorbronze, Aluminium, Messing und anderes mehr, während drei Maschinenfabriken einen in- und ausländischen Kundenkreis mit ihren Fabrikaten beliefern und einen guten Ruf in der Herstellung vor allem von Bimsbrechern, Hochleistungs-, Rüttel- und Dampfmaschinen für die Herstellung von Leichtbeton besitzen, die besonders in der heimischen Bimsindustrie Verwendung finden……“.
Auch die drei Mälzereien, die Holzindustrie, die Nahrungs- und Genussmittelindustrie, die chemischen Fabriken und der Hafen kommen nicht zu kurz. Wie kommt Ernst Loeb zu diesem differenzierten Wissen, das in dieser Form so gar nicht zu seinen sonstigen Interessen als Germanistikstudent zu passen scheint? Sicher nicht nur durch eigene Recherchen. Sicherlich hat er sich mit Bürgermeister Dr. Füth in Verbindung gesetzt. Und so kommt es - und das ist die Überraschung - zu einem Grußwort des Andernacher Bürgermeisters in einer amerikanischen Zeitung. Loeb bat ihn und seine städtischen Mitarbeiter um Informationen zur Stadtgeschichte. In seinem Brief an Dr. Füth - nach Erscheinen des Artikels - spricht er auch von „vereinten Kräften“, die hinter diesem Inhalt stehen. So verwundert es nicht mehr, dass der Abschnitt „Wichtigster Umschlagplatz am Mittelrhein“ aus der Feder des Stadtinspektors Franz Theodor Hunold stammt, der bei den Stadtwerken auch für den Hafen zuständig war. Die Zusammenarbeit ist intensiv und von langer Hand geplant. Die besondere Leistung von Ernst Loeb besteht darin, aus vermutlich umfangreicheren Material einen sprachlich und gedanklich in seiner Intention strukturierten Artikel zu gestalten.
Ernst Loeb will der amerikanischen Leserschaft ein umfassendes Bild seiner Heimatstadt anbieten und näher bringen, und das nur wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, in der die Erinnerungen an die Nazizeit noch sehr präsent sind, die er in seinem Artikel auch gar nicht thematisiert. Er macht quasi Werbung für die Schönheit und Geschichte seiner Heimatstadt, ohne die aktuellen Herausforderungen wie Wohnungsbau, Verkehrssicherheit, Flüchtlingsunterbringung und Wasserversorgung zu verschweigen.
Interessant sind Loebs wertende Schlussfolgerungen: „Man denkt wohl in Andernach nicht allzu materiell und ist sich der Verpflichtung bewusst, eine der stolzen geschichtlichen und kulturellen Vergangenheit der Stadt würdige Zukunft zu bauen…. In Andernach reichen sich also die historische Vergangenheit und eine der Zukunft aufgeschlossene Gegenwart die Hand... Im Schatten der vertrauten historischen Baudenkmäler aber lässt es sich gut leben … Frohsinn und Gewerbefließ kennzeichnen den Bürger der Stadt. Gastlichkeit und Heiterkeit lassen die Fremden gern in ihr verweilen… Möge sich immerdar der Wunsch erfüllen, den das alte Stadtsiegel trägt: Gottes Gnad‘ und Allmacht, schütze Dich, Stadt Andernach.“
Und dann erreicht die Überraschung ihren Höhepunkt: Der Artikel über Andernach endet mit dem Gedicht „An meine Vaterstadt“ von Ernst Loeb. Dieses Gedicht wurde erst 36 Jahre später, 1988, bei der 2000-Jahr-Feier in Andernach bekannt. Es hat auch keinen Eingang in seine vier Gedichtbände gefunden. Hier wird es bereits am 28. September 1952 den amerikanischen Lesern der „Philadelphia Gazette Democrat“ vorgestellt, ist also viel früher entstanden, vermutlich kurz nach Ernst Loebs Besuch in Andernach 1950. Nur wenige Exemplare des Artikels sind nach Andernach gelangt - und im Laufe der Jahre völlig aus dem Blickfeld geraten - so auch dieses Gedicht. Mit ihm stellt Ernst Loeb die Verbindung zwischen Andernach und seinem persönlichen Schicksal her, eine höchst emotionale Verbindung als Abschluss einer sachlichen Darstellung der Andernacher Stadtgeschichte. Andernach wird Ernst Loeb auch in den Jahren, in denen noch keine regelmäßigen Besuche stattfinden, nicht mehr aus dem Sinn gehen.
Für die Autoren der geplanten Ernst-Loeb-Publikation, Dr. Rüdiger Heimlich aus Köln und Wolfgang Redwanz, bedeutet der Fund eine wertvolle Bereicherung, so Claus Peitz. Vielleicht löst er auch bei einigen Andernachern weitere Erinnerungen aus. Anregungen und Hinweise nimmt Dr. Kai Seebert gerne entgegen. Sicherlich gibt es noch einige, die Details zur Beziehung Ernst Loebs zu Andernach beitragen können. Eine baldige Rückmeldung wäre wichtig. BA