Neue Reihe des Hospiz-Vereins greift das Thema Sterbehilfe auf
„Pille rein, Problem weg“
Kreis Ahrweiler. Sie können nicht mehr. Oder wollen nicht mehr. Menschen, die nicht mehr leben möchten, haben dafür verschiedene Gründe. Und wenn sie einen Todeswunsch gegenüber anderen äußern, setzen sie bei diesen damit oft nicht minder vielfältige und belastende Prozesse in Gang. Auf beiden Seiten tun sich Fragen auf. Erst recht, wenn ein Sterbewilliger sein Gegenüber auch noch bittet, ihm bei der Umsetzung seines Todeswunschs zu helfen. „Beihilfe zur Selbsttötung“ oder „Assistierter Suizid“ wird das genannt. Im Juli haben dazu zwei Gesetzentwürfe von Abgeordnetengruppen verschiedener Parteien im Bundestag vorgelegen. Für keine hatte sich eine Mehrheit unter den Parlamentariern gefunden.
„Über das Thema reden alle, aber eigentlich weiß keiner Bescheid“, sagte die Vorsitzende des Hospiz-Vereins Rhein-Ahr vor mehr als 20 Anwesenden im Mehrzweckraum des stationären Hospizes im Ahrtal: „Wir machen die Erfahrung, dass die meisten Menschen nicht wissen, was in Sachen Sterbehilfe jetzt Gesetz ist und was diskutiert wird in Deutschland.“ Aufklärung leisten soll ein offenes Angebot des Hospiz-Vereins, für das das Treffen einen Auftakt darstellte.
Erstmal trugen die Versammelten „einfach aus dem Bauch heraus“ zusammen, was ihnen zum Thema Sterbehilfe bekannt ist. Auffiel, dass sich zunächst alles um den „Assistierten Suizid“ drehte, der in Deutschland straffrei ist, über den aber große Unklarheit herrscht, weil sich der Bundestag eben bisher nicht auf Rahmenbedingungen dafür einigen konnte. „Es ist nicht hilfreich, wenn der assistierte Suizid erlaubt beziehungsweise straffrei ist, aber der Weg dahin nicht geklärt“, so Dobrowolny. Gleichzeitig lenkte sie den Blick auf das, was in der Brainstorming-Runde so gut wie gar nicht auftauchte: Das, was bereits möglich, gesetzlich geregelt und verankert ist. „Man merkt, wie die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf bestimmte Aspekte gelenkt wird, aber andere Aspekte gar nicht in der öffentlichen Diskussion vorkommen oder bekannt sind“, so Dobrowolny.
Vielfältige Aspekte
„Assistierter Suizid scheint mir die Einfachlösung: Pille rein, Problem weg. Wenn unsere Gesellschaft diesen Weg gehen will, tut das weh“, sagte eine Frau. Ein andere Teilnehmerin sah darin durchaus eine Option, allerdings: „Wann genau will man denn die Pille nehmen oder noch schwerer: Wann soll einem ein Angehöriger die Pille geben?“ Hospizleiterin Gabriele Ruggera gab zudem zu bedenken, dass Angehörige, die nicht mit dem Suizid einverstanden sind, im Nachhinein sehr zweifeln und kämpfen: „Sie denken: ‚Unsere ganze Liebe hat nicht ausgereicht, den Menschen dazu zu bringen, bis zum natürlichen Ende zu leben.‘ Die Angehörigen beziehen den Sterbewunsch auf sich und die Trauer, die dann folgt, ist schwerer als wenn jemand natürlich gestorben ist.“
In lockerer Atmosphäre brachten die rege mitwirkenden Teilnehmenden viele Meinungen und Erlebnisse zur Sprache und brachten darüber hinaus Möglichkeiten ein, mit Todeswünschen umzugehen. Im Gespräch in großer Runde wurden vielen ganz faktisch aber auch Begriffe klarer, die sie bisher durcheinander geworfen hatten. Differenziert wurde zwischen Sterbebegleitung und Sterbehilfe, indirekter und passiver Sterbehilfe, der palliativen Sedierung und dem freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken.
Leben und ein Sterben ist individuell
Viele Einstellungen und Erfahrungen fanden Gehör: Der Druck , den Angehörige zuweilen auch ganz ohne Worte oder vielleicht sogar gar nicht richtig bewusst auf alte und kranke Eltern ausüben, weil das Geld für die Pflege bald aufgebraucht oder die Pflegeanstrengungen übermäßig sind. Die Annahme, selbst nicht mehr leben zu wollen, wenn man nicht mehr Gehen oder Sehen kann, um in der Situation dann festzustellen, dass es das Leben auch dann noch lebenswert ist. Die Frage, ob es besser ist Sterbeberater oder Lebensbegleiter auszubilden. Der Versuch, in einem durch und durch optimierten Leben Kontrolle zu behalten, bis zum Schluss. Auch, warum die Parlamentarier im Bundestag nicht zu einer Einigung gekommen ist, konnten die Teilnehmenden am Ende des engagierten Austauschs besser nachvollziehen. Dobrowolny: „Und darum ging und geht es uns: Die Facetten der Diskussion zu spiegeln, transparenter zu machen, wie umfassend die Fragestellungen beim Thema Sterbehilfe sind, was alles Leben bedeutet, was und wie die Gesellschaft damit umgehen kann und dass jeder Einzelne dabei zählt. Wir haben eine Ahnung davon bekommen, wie umfangreich und individuell ein Leben und ein Sterben sein kann und wie schwer es ist, für all das eine flächendeckende, einheitliche Regelung zu finden.“
Weitere Informationen
Weitere Angebote wie etwa (Online-)Vorträge zum Thema sollen folgen, immer auch mit der Möglichkeit für die Teilnehmenden, sich auszutauschen. Weitere Infos: www.hospiz-rhein-ahr.de, 02641 2077969.