Die aktuelle Buchbesprechung

Schwierige Ankunft

Rita Schäfer schreibt über ihr Leben zwischen iranischer Revolution und Selbstbestimmung in Deutschland

04.02.2017 - 14:00

Remagen. „Ich kam aus einem unterdrückten Umfeld in eine bunte Welt lächelnder Gesichter“, sagt Rita Schäfer. Eine Wendung zum Guten also? Zweifellos trifft dies zu, doch so einfach lässt sich ihre Geschichte nicht zusammenfassen. Das hat Schäfer auch gar nicht versucht. Aber sie hat ein Buch geschrieben, in dem sie zurückblickt und am Schluss lauter Fragen stellt, zu Heimat und Fremdheitsgefühlen, Integration und der richtigen Dosierung von Toleranz. Als die Jugendliche kurz vor dem 16. Geburtstag im Iran ins Flugzeug steigt und die Reise nach Deutschland geht, zu ihrem Bruder, der dort studiert, sieht das nicht wie eine Flucht aus. Und dennoch ist es eine, denn das Mädchen ist am Ende seiner Kräfte.

Die Kindheit brach jäh ab, als irakische Bomben über Teheran fielen, nächtliche Ruhestörungen zur Normalität wurden und die islamische Revolution das Leben der Menschen zunehmend einengte. Sie verbannte Freude und Spaß. Nach und nach brachte „das totalitäre Scharia-System des schiitischen Islam“ alle Lebensbereiche unter seine Kontrolle. Die Deutsch-Iranerin Rita Schäfer erhielt 2007 die deutsche Staatsangehörigkeit. Auch ihren iranischen Pass behielt sie, da die iranische Regierung sie als Staatsangehörige nicht entließ. 1971 in Teheran geboren, seit 1987 in Deutschland und seit 2013 in Remagen lebend, hat sie sich ihre Erlebnisse von der Seele geschrieben. „Fremdbestimmt“ heißt das Buch über ihr privilegiertes Aufwachsen, über den plötzlichen Umsturz aller Lebensumstände, eine durch gewaltsame Veränderungen verwundete Seele und die ehrgeizige Eroberung eines neuen Umfeldes. Erst Jahre später hat Rita Schäfer begriffen, dass sie die Erschütterungen der frühen Lebensjahre immer noch mit sich herumträgt. Und selbst ihre tapferen und erfolgreichen Anstrengungen, schnell Deutsch zu lernen, sich in Deutschland zurechtzufinden als Heranwachsende und junge Frau ohne den Rückhalt ihrer Familie, sind ihr bis heute auch mit den belastenden Aspekten bewusst.


Sehnsucht nach Heimat


Damals, nachdem sie bei ihrem Bruder in Aachen ankam, quälte sie Heimweh. Niemand in ihrer neuen Umgebung fragte nach dem, was sie im Iran erlebt hatte, nicht einmal ihr Bruder. 15 Monate später, 1988 in den Weihnachtsferien, flog sie nach Teheran, um ihre Eltern und Geschwister wiederzusehen.

Ihr Eindruck schon im Flughafen: „Es kam mir vor, als hätte man plötzlich einen farbigen Film in Schwarz-Weiß umgewandelt. Müde und fahle Gesichter. Traurige, abgekämpfte Augen.“ Über ihre Geburtsstadt schreibt sie an anderer Stelle im Buch: „Aus dem freundlichen, fröhlichen Teheran wurde eine traurige, graue und verschmutzte Stadt. Als hätte man über die Stadt Asche gestreut“.Umso mehr freut sie sich auf einen Ausflug mit der Schwester. Die beiden wollen am Fuß des Elbur-Gebirges wandern und in einem der vielen Cafés und Restaurants einkehren. Die Zerstreuung würde ihnen gut tun. Stattdessen versetzt sie, was ihnen an diesem sonnenhellen Tag widerfährt, in Schrecken. Auf einem Berggipfel beobachten islamische Sittenwächter die Wanderer und greifen solche heraus, die ihrer Auffassung nach unbotmäßig auftreten, darunter die Schwester, weil sie sich geschminkt hatte. Der Besucherin aus Deutschland gelingt es nur knapp, ihre Schwester vor dem Gefängnis zu bewahren. Sie ist entsetzt und um eine Warnung reicher: „Zugleich wurde mir schlagartig klar, dass ich nun heimatlos war. Ich ging nicht von zuhause weg. Ich ging von einem fremden Iran weg. Es gab außer meiner Familie nichts, was mich noch an das Land band.“


Sorglose Kindheit


Diese bittere Erkenntnis nimmt die damals 17-Jährige mit nach Aachen, erste Station in einem Land, das zu ihrem ständigen Wohnsitz werden soll. Heimat nennt sie es bis heute nicht. Zunächst wächst das Nesthäkchen der sechsköpfigen Familie unbeschwert auf der Luftwaffenbasis westlich von Teheran auf, wo der Vater als Ausbilder arbeitet. Im abgeschotteten gepflegten Bezirk fürs Luftwaffenpersonal können junge Leute sogar Schwimmhallen und Tennisplätze, Konzert- und Partyhallen kostenlos nutzen. Doch es folgt „Die Revolution, der Anfang vom Ende“, wie Schäfer ein Buchkapitel überschreibt. 1979, nach dem Sturz des Schahs, glaubt die Achtjährige, „das Schlimmste überstanden“ und Freiheit und Wohlstand auch für die Armen gekommen. Aus Kindersicht schildert sie sodann die radikale religiös-politische Gleichschaltung. Musik, Theater, Shows im Fernsehen verschwinden. Verhaftungen und Angst auch unter den Kollegen des Vaters greifen um sich. Andersgläubige und Ausländer verlassen über Nacht das Land. Ein Jahr darauf beginnt der Golfkrieg mit Angriffen des Irak auf die Flugplätze der iranischen Luftwaffe. Bomben fallen auf den Teheraner Stützpunkt, als Schäfers Familie gerade um den Mittagstisch versammelt ist.


Leben aus den Fugen


Seitdem gerät deren Leben aus den Fugen mit Umzügen, um Schutz vor den Bomben zu finden, Vaters Arbeitsplatzverlust, wirtschaftlichem Abstieg, rigiden Verhaltensvorschriften, darunter den Kleidungsregeln für Frauen. Um der trostlosen Wirklichkeit zu entfliehen, vergräbt sich das Mädchen zeitweilig in den Koran.

Mürbe durch Jahre der Gefahr, Unsicherheit und Einschränkungen, flieht die fast 16-Jährige nach Deutschland zum Bruder, fern der übrigen Familie, die sie schmerzlich vermisst.

Der Leser erfährt, wie schwierig es sich für sie gestaltet, in der völlig fremden Umgebung Fuß zu fassen.

Zwischen zwei gänzlich verschiedenen Kulturen und zwischen dem Bewahren erlernter Werte und Überanpassung im neuen Land hin- und hergerissen, erkämpft die junge Frau, ihren Weg zur Selbstbestimmung. Nach dem Abitur machte sie eine Ausbildung zur MTA, stieg fleißig und diszipliniert zur Gebietsmanagerin eines pharmazeutischen Unternehmens auf.

Doch dauert das Ankommen bis heute an. Es brodelt in ihr. In entscheidenden Lebensphasen fehlte ihr der Halt. Da ist die verschüttete Liebe zu einem Land, in dem ihre biografischen Ursprünge liegen. Da ist der Zorn, dass dieses Land von einem menschenverachtenden System regiert wird. Auf Deutschland bezogen treiben sie Fragen zu ihrer Situation als Migrantin um, zu Rollenerwartungen der Gesellschaft und zur Moral.

Die stark angestiegene Zahl der Flüchtlinge in Deutschland beschäftigt sie, wobei ihr der Schutz der Gesellschaft wichtig ist, aber auch die humanitäre Verpflichtung in der Flüchtlingspolitik. So will Rita Schäfer, verheiratet und Mutter zweier Kinder, mit dem Buch Verständnis für die Situation der zunächst orientierungslosen Flüchtlinge wecken. Auf der anderen Seite wünscht sie sich von der Gesellschaft und Politik in Deutschland, dem Land, in dem sie dankbar ein Leben jenseits von Krieg und Unterdrückung kennenlernte, dass den religiös Intoleranten deutliche Grenzen aufgezeigt werden. „Ich möchte nicht erneut fliehen müssen“, endet das Buch.

Es ist erschienen bei Books on Demand, (ISBN 9783741290411) hat 436 Seiten und ist über den Online-Handel und im Buchhandel erhältlich. -HG-

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