Der Brasilianer Ernesto Neto hat im Arp Museum seine erste museale Einzelausstellung in Deutschland
Willkommen in der Zwischenwelt von Kunst und Natur
Rolandseck. Tropfen elastischen Gewebes hängen von der Decke. In der Mitte stülpt sich ein orangefarbener Rüssel aus. Und am Boden liegen Kissen für die Besucher. Willkommen zur Landung in einer organischen Rauminstallation von Ernesto Neto! Zwar besteht das helle transparente Gehäuse aus Polyamid und ist sichtbar über Gewichte verspannt, dennoch vermittelt die Konstruktion einen starken Natureindruck. Dazu tragen die Zotten bei, ebenso wie die kreisrunden Gewebedurchlässe. Mit den Werken des gefragten brasilianischen Künstlers aus Rio de Janeiro, der zuletzt im Guggenheim Museum Bilbao internationales Aufsehen erregte, bereichert das Arp Museum Bahnhof Rolandseck sein Themenjahr „Menschliche Dimensionen“. Die werden bereits anschaulich durch Aron Demetz‘ Holzskulpturen, die „Leibhaftig“-Präsentation der Kunstkammer Rau sowie Skulpturen und Gemälde von Hans Arp und Max Ernst. „Aber erst durch Neto wird der Körper selbst zum Ausstellungsgeschehen“, unterstreicht Museumsleiter Dr. Oliver Kornhoff.
Die ganze Natur ein Körper
Vielleicht ist es nicht so sehr ein menschlicher Körper – dazu wirkt das Raumgebilde zu leicht, licht und durchlässig – als vielmehr ein körpernahes Sinnbild für die Natur als ein einziges zusammenhängenden lebendigen System. Dafür spricht auch Netos intensives Naturempfinden. In die zweite große Installation, ein außen wie inwendig weißes Rundgehäuse aus Stoffbahnen, gelangt man auf Strümpfen, um auf weichem Boden über gewundene Wege einen wechselseitig beleuchteten Kern zu umrunden.
Man fühlt sich weit weg von allem und deshalb umso mehr mit sich selbst konfrontiert, hier, wo Helligkeit und Ruhe die Konturen auflösen und die alltäglichen Dauerreize ausgesperrt bleiben müssen. Indes verströmen in der ganzen Ausstellung Netos biomorphe Hängeskulpturen kräftige Aromen. Neben Styropor, Sand und Edelsteinen besteht deren Füllung nämlich aus Gewürzen, wie Pfeffer, Ingwer und Nelke, was spürbar in die Nase geht.
Heilung durch Natur und Kunst
„Haux Haux“, der exotische Titel von Netos erster musealer Einzelausstellung in Deutschland, bedeutet „Anfang, Ende, Harmonie“. Er entstammt dem „Lied der Verbindung mit den Geistern unserer Natur“ der Huni Kuin-Indianner. Der Künstler ist tief beeindruckt von der Weisheit, und traditionellen Denk- und Lebensweise dieser Volksgruppe aus dem Amazonasgebiet. „Sie sprechen mit Pflanzen. Sie sprechen davon, dass wir uns reinigen müssen, sie reden die ganze Zeit von Heilung“.
Durch sie habe er gelernt „dass das Geheimnis nicht weit entfernt ist; es ist hier in Pflanzen und in Steinen. Nach und nach habe ich verstanden, die meisten Probleme kommen von uns selbst, vom negativen Denken“. Im Westen klagten Liebeslieder etwa über den Verlust der Freundin. Das bedeute, das Leid zu tolerieren. „Die Huni Kuin aber reinigen sich, indem sie davon reden, dass die Vögel fliegen, der Wind weht, das Wasser klar ist“. Der Künstler begeistert: Sie nehmen die Natur, um sich zu heilen. Sie haben Pflanzen zum Heilen, sogar für Menschen, die keine Träume haben“. Netos Arbeiten handeln, wie er sagt, „von der Liebe“, womit er wohl sein Mitgefühl für die Menschen meint, denen er Gutes tun will mit seiner Kunst. Heilen durch Kunst - da ist es schlüssig, wenn eine Abordnung der Huni Kuin, Häuptling Sian, Tochter Tschima, Sohn Txana Bane und dessen Frau Kathy Lewin, mit Gesangsritualen zur Eröffnung eine von Netos Rauminstallationen weihen.
Die Indianer, mit denen der Künstler schon häufiger zusammengearbeitet hat, wollen aber auch bewusst ihre Kultur und Lebensart vorstellen, die in Brasilien zunehmend bedroht ist.
Neto beerbt Arp und mehr
Ernesto Neto ist zudem in der brasilianischen Kunst der Nachkriegsmoderne verankert. Doch ihn verbindet über die organische Formensprache auch eine überraschende Nähe zu Hans Arp, wie sie in der Ausstellung von Max Ernst und Hans Arp, in die Netos Werke hereinreichen, zutage tritt. Gemeinsamkeiten weisen nicht nur Arps kleine grünlich patinierte Bronze mit Zellenstruktur und Netos großes weißes Netzobjekt auf. Vor der luftigen Wandarbeit des Brasilianers „The Jaguar‘ Shadows“ würde Arp vermutlich sogar staunend ausrufen, „als wär’s ein Stück von mir“.
Denn da versammeln sich zum harmonischen Vielklang die bewegten Arpschen Ovale. Ähnlichkeiten und Bezüge sind immer wieder unverkennbar. Doch damit nicht genug, treibt Neto die von ihm empfangenen Inspirationen zu ungeahnten künstlerischen Wechselbeziehungen: In einer flauschigen „Höhle“ sind zwei Videos zu sehen, die Neto in Kooperation mit den Huni Kuin erarbeitete: In einem hält er selbst engagierte Zwiesprache mit der Arp-Bronze „Torso-Profil“, in dem anderen zelebriert der Häuptlingssohn Txana Bane ein Heilungslied für Hans Arps Skulptur „Kauernd“.
Die Ausstellung, zu der ein Katalog erscheint, ist bis zum 25. Mai 2015 geöffnet: dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr. Unter www.arpmuseum.org informiert das Museum über das Begleitprogramm.