Bundesweite „Grüne Protestwoche“ der Landwirte startete auch in Neuwied
Deutliche Forderungen und geordneter Ablauf
Neuwied. Seit 1926, mit kriegsbedingter Unterbrechung, startet regelmäßig im Januar eines jeden Jahres in Berlin die Internationale Grüne Woche, eine Agrarmesse auf der Landwirtschaftsbranchen und Landwirte ihre Produkte zeigen. In diesem Jahr organisierten die Landwirte vor Beginn der Messe eine eigene „Grüne Woche“, aber eine des Protestes.
Bauern kämpfen um Beibehalt von Steuervergünstigungen und mehr Wertschätzung
Die Bundesregierung wollte, um Haushaltsmittel zu generieren, beschließen, landwirtschaftlichen Betrieben künftig die Steuerbefreiung für ihre Betriebsfahrzeuge zu streichen und ebenso den vergünstigten Steuersatz für den Dieselkraftstoff, Stichwort Agrardiesel. „Zuviel ist zuviel“, sagte Ulrich Schreiber, Vorsitzender des Kreisbauern- und Winzerverbandes Neuwied und rief auch die Landwirte des Kreises Neuwied zum Start der bundesweiten Protestwoche auf, zur Auftaktveranstaltung nach Neuwied vor die Kreisverwaltung zu ziehen. Mit rund 200 Traktoren und Hängern und auch mit Unterstützung von Speditionen und Handwerkern rückten etwa 250 Bauern am 8. Januar an.
Schreiber organisierte einen friedlichen Protest, Vereinnahmungen von rechter Seite oder Trittbrettfahrer ließ er nicht zu. Er bestand gegenüber den Ordnungsbehörden deutlich darauf, gegebenenfalls solche Personen zu entfernen. Ebenso deutlich distanzierte er sich auf Nachfrage von BLICK aktuell von der Gruppe, die in Norddeutschland Wirtschaftsminister Habeck nicht von der Fähre lies.
In Neuwied ging es deutlich, aber sachlich und geordnet zu. Schreiber bedankte sich bei den Behörden für die Zusammenarbeit und bei den Teilnehmern für das Erscheinen und lies keinen Zweifel daran, dass auch das Einlenken der Regierung, die Fahrzeugsteuerbefreiung nicht anzutasten und die Agrardiesel-Steuervergünstigung nicht sofort, sondern bis 2026 stufenweise abzubauen, den Bauern nicht genügt. Sie fühlen sich durch vieles drangsaliert. Und der steuerbegünstigte Agrardiesel müsse dauerhaft bleiben.
Kosten, Aufwand und Bürokratie belasten
Landrat Achim Hallerbach stellte sich an die Seite der Landwirte und unterstützte die Proteste ausdrücklich, ebenso die Forderungen. „Unsere Landwirte werden verraten und verkauft. Scholz, Habeck und Lindner, es reicht!“, rief er bei seiner Ansprache dem „Raumschiff Berlin“ zu. Und wenn es in Richtung Regierung und Ampel ging, war im Wesentlichen die Partei Die Grünen gemeint. Das war auch auf vielen Transparenten an den Traktoren deutlich lesbar.
Dominik Ehrenstein, Vorsitzender des Vereins Landwirtschaftlicher Fachbildung e.V. betonte in seiner Rede die besonderen Belastungen und ständigen Kostensteigerungen. 40.000 Betriebe hätten seit 2010 aufgegeben. Eine vernünftige ökologische Maßnahme wäre der Erhalt und die Unterstützung der regionalen Landwirtschaft, nicht deren immer stärkere Belastung durch Auflagen. Er erwähnte ein weiteres Problem: Die wesentlichen vier großen Handelsketten, von denen man abhängig sei, zahlen zu niedrige Preise, um unter all den politischen und bürokratischen Auflagen, Vorschriften und Aufwänden wirtschaftlich arbeiten zu können. Ein Punkt, den der damalige Präsident des Bundeskartellamtes, Andreas Mundt, 2016 in einem Zeitungsinterview bereits beklagte: Die „Big Four“, Rewe, Aldi, Edeka und die Schwarz-Gruppe, hätten 85 Prozent Marktanteil und diktierten die Preise. Ein Problem, das ähnlich wie die erwähnten Hofschließungen auch unter den von 2010 bis Ende 2021 CSU- und CDU-geführten Landwirtschaftsministerien bestand.
Erwin Rüddel, Mitglied des Bundestages, wurde noch deutlicher. Er forderte, die Kürzungen vollumfänglich zurückzunehmen. Denn die Landwirte bräuchten Subventionen nicht für größere Traktoren, sondern um preiswerte Produkte regional und mit guter Qualität herzustellen. „Wer das Bürgergeld um zwölf Prozent erhöht, es nicht nachhaltig für Arbeitsunwillige auf ein Minimum reduziert und die Migration deutlichst eindämmt, hat noch längst nicht alle Sparmaßnahmen des Haushalts ausgeschöpft“. Auch für ihn ist die Schuldfrage unzweifelhaft: „Diese grüne Ampel lebt ihren ideologischen Weltrettungsanspruch nicht nur beim Klima aus. Die Grünen führen die SPD und die FDP am Nasenring durch die Ampel. Das großstädtisch geprägte grüne Klientel will bestimmen, wie wir auf dem Land zu leben haben. Dabei haben viele von denen – außer Cannabis – noch nichts zum Blühen gebracht“, rief Rüddel den applaudierenden Landwirten zu.
Ulrich Schreiber schloss die Veranstaltung und dankte für die friedliche Demonstration, die „gesittet aufgezogen war und auch gesittet in Richtung Koblenz abzog, wo eine Kundgebung mit Bauern aus dem ganzen Land stattfand.
Bollinger (AfD) äußert sich
BLICK aktuell fragte Dr. Jan Bollinger (Landesvorsitzender der AfD in Rheinland-Pfalz), der die Veranstaltung aus dem Publikum verfolgte, nach seiner Sicht auf den Protest und die Forderungen. Im Parteiprogramm der AfD steht ausdrücklich, dass Subventionen stufenweise abgeschafft werden und mehr landwirtschaftlicher Wettbewerb stattfinden soll. „Ein solcher Protest gegen die Ampel ist lange überfällig gewesen und wenn man die Rede Rüddels gehört hat, könnte man meinen, er sei bei uns in der Lehre gewesen. Bei den aktuellen Maßnahmen geht es ja nicht um Subventionen, sondern um Steuererstattungen“, sagte Bollinger. Nachgefragt zu Subventionen antwortete er, dass er glaube, dass auch die Bauern lieber ohne Subventionen gut leben wollen, dafür müssten aber eben auch angemessene Preise gezahlt werden. Ein Subventionsabbau könne daher auch nicht plötzlich erfolgen.
Protest geht weiter und nach Berlin
Die Bauern des Landkreises kämpfen weiter. Die ganze Woche waren Mahnwachen und ähnliche Aktionen geplant, bevor am 19. Januar eine große, bundesweite Protestkundgebung in Berlin stattfindet, an der auch Landwirte aus dem Kreis Neuwied teilnehmen werden. Eine Woche vor Eröffnung der Internationalen Grünen Woche.
Das bedeuten die Zahlen für den Kreis Neuwied
Im Kreis Neuwied gibt es laut Kreisverwaltung aktuell 107 Haupterwerbslandwirte und 242 Landwirte im Nebenerwerb. Die durchschnittliche Betriebsgröße im Kreis beträgt etwa zwischen 40 und 50 Hektar. Pro Liter Diesel für Betriebsfahrzeuge können Landwirte bisher eine Erstattung von 0,2148 Euro auf Antrag zurückfordern. Gerechnet wird meist pro Hektar Wirtschaftsfläche ein Verbrauch von etwa 100 Litern Diesel pro Jahr. Bei 50 Hektar wären das 1.047 Euro im Jahr, die ein Landwirt im Kreis ab 2026 durchschnittlich mehr auf der Kostenseite hätte.
Die Grüne Nummer für Kfz-steuerbefreite Fahrzeuge bleibt bestehen, fiele sie jedoch weg, würde das je nach Betriebsgröße und Anzahl der Fahrzeuge etwa 2.000 Euro im Jahr kosten, schätzte Kreisbauernverbandsvorstand Ulrich Schreiber.
In den Genuss von beantragten EU-Agrarsubventionen sind 328 Empfänger bzw. Betriebe im Landkreis Neuwied gekommen. Insgesamt 7.095.863,39 Euro haben die Landwirte im Kreis 2022 aus dem EU-Topf erhalten (Proplanta.de, Agrarstatistik, EU-Agrarsubventionen 2022). Laut Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (Praxis-agrar.de) machen diese Beihilfen 48,5 Prozent des Einkommens aus und das beträgt nach Angaben des Informationszentrums rund 46.100 Euro jährlich bei Haupterwerbslandwirten.