Bauern- und Winzerverband bilanziert zum dritten Jahrestag der Flut Schäden, Hilfen, Maßnahmen und Probleme
„Hoffen, dass es nicht bei Hochglanzbroschüren und Runden Tischen bleibt“
Kreis Ahrweiler. Im Ahrtal geht es um Millionen. Millionenschäden. Zum dritten Jahrestag der Flut zog der Bauern- und Winzerverband eine Bilanz der Flutfolgeschäden und berichtete vom „Ultra-Triathlon“ des Wiederaufbaus. Eine Halbzeit-Bilanz wäre allen lieber gewesen. Das Resümee zogen Franz-Josef Schäfer als Vorsitzender des Verbandes, Geschäftsführer Dr. Knut Schubert, Weinbaupräsident Hubert Pauly, Ingrid Strohe für die Landfrauen und Kellermeisterin Astrid Rickert für die Winzergenosenschaft Mayschoß-Altenahr.
Im Vergleich zu den Winzern ist laut Schäfer die Landwirtschaft „eher glimpflich“ davongekommen. Und die Bauern konnten auch Hilfebauen. Von insgesamt 14,1 Millionen Euro stammen zehn Millionen von ihren eigenen Organisationen, mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Schlimmer sei das menschliche Leid, das durch die Flut entstanden sei, machte Schäfer klar. Materiell sei sein Verband immer noch im Prozesse, die Schadenshöhe zu erfassen und zu bewerten. Gleichzeitig sei Engagement in den Hochwasserprävention gefragt. Dabei gelte es, das Wasser in der Fläche zurückzuhalten, länderübergreifend zu kooperieren und auch das Förderrecht entsprechend anzupassen. „Da hoffen wir, dass es nicht bei Hochglanzbroschüren und Runden Tischen bleibt“, so der Bauernfunktionär. Denn der Wiederaufbau „wird uns noch viele Jahre begleiten“.
Dramatische Zahlen
Dramatische Zahlen nannte Weinbaupräsident Hubert Pauly für die Winzerschaft. Von 560 Hektar Rebfläche im Ahrtal wurden 40 Hektar total zerstört, 20 Hektar überflutet. Die Gebäudeschäden bei fast allen Weingütern reichten bis hin zur Existenzgefährdung. „Nur fünf von 65 Selbstvermarktern blieben ohne Gebäudeschäden“, so Pauly. „Der einzelbetriebliche Gesamtschaden liegt zwischen 250000 und fünf Millionen Euro.“ Massiv betroffen seinen auch die drei Genossenschaften und damit auch die anliefernden Traubenerzeuger. Ganz dramatische sehe es beim Weinvorrate aus. „Eineinhalb Ernten gingen in den Fluten verloren, rund 50 Millionen Eur0“, bilanzierte Pauly, der den Gesamtschaden der Weinwirtschaft auf rund 200 Millionen Euro beziffert.
Neben mannigfaltiger Hilfe und großer Solidarität thematisierten die Verbandsfunktionäre auch den Wiederaufbau. Problem, im Weinbau ist die Schadensstruktur sehr komplex: zerstörte Weinkeller, Straußwirtschaften, Büros, Außenwirtschaft (Maschinen wie Traktoren und Raupen), ganze Gebäude, Weinflaschen und-fässer. Da nehme die Schadensbegutachtung aufgrund begrenzter Sachverständigenkapazitäten enorm viel Zeit in Anspruch. Zu allem komme die Bürokratie: Denn in Mayschoß, Rech und Dernau müssen für den Wiederaufbau zwei Flurbereinigungsverfahren durchgeführt werden. Pauly: Dort wo kein Verfahren durchgeführt werden muss, konnten auf den rund 40 Hektar in der Flachlage ab Frühjahr 2022 erste Neuanpflanzungen durchgeführt werden. In Dernau, Rech und Mayschoß waren erste Neuanpflanzungen in diesem Frühjahr möglich, der Rest soll 2025 folgen. Die überbetriebliche Neuanlage zerstörter Weinbergsmauern sei indes von den Winzern nicht finanzierbar, sagte Pauly. Hier sieht einen 100-prozentige stattliche Aufgabe.
Inflationäre Preislage
Der Probleme sieht der Verband noch gar viele. So liege zum Beispiel die Marginalgrenze bei der Wiederaufbauhilfe bei 5000 Euro. „Das bedeutet, 20 Prozent der Antragstellen, das sind die Nebenerwerbswinzer, fallen unter diese Grenze uns bekommen gar nichts“, so Pauly. Schwierig, für zerstörte Maschinen gibt es nur den Wirtschaftswert. „Auf dem Gebrauchtmarkt ist keine Anschaffung adäquater Ersatzmaschinen möglich, eine Neuanschaffung allein wegen der inflationären Preislage kaum erschwinglich“, klagt der Weinbaupräsident, spricht von einer „neuen Angst“ und nennte ein konkretes Beispiel: „Für eine Raupe, die vor Jahren für 40000 Euro gekauft wurde, muss man heute das doppelte hinlegen.“
Sorge um Tourismus
Zudem sorgen sich die Winzer um Ersatzflächen. Die könnten nicht im Acker- und Obstbaugebiet gesucht werden. Sie müssten den Charakter gute Weine bieten und in die Kulturlandschaft des Ahrtals eingebettet sein. Um Letztere sorgen sich die Winzer auch mit Blick auf den Tourismus und fürchten eine mangelnde Attraktivität des Tales durch schleppende Instandsetzung der Infrastruktur. Sie fordern dringen den zügigen Neubau der gesamten Orte sowie des Wege- und Straßennetzes, „sonst verschwindet das Ahrtal aus den Reiseführern“.
Mit der Bürokratie hadert Verbandsgeschäftsführer Schubert. Während in Nordrhein-Westfalen die Landwirtschaftskammern für alle Anträge zum Wiederaufbau zuständig seien, müsse sich in Rheinland-Pfalz durch drei Anlaufstellen gequält werden: für Winzer die Kreisverwaltung, für investive Güter (neue Maschinen) das Dienstleistungszentrum ländlicher Raum Mosel und für private Schäden die ISB. Schubert: „Ein halbes Jahr nach der Flut ging alles gut, seitdem geht alles wieder den Weg der deutschen Bürokratie.“
Ganz ohne Bürokratie haben laut Ingrid Strohe die deutschen Landfrauenverbände im Ahrtal agiert. Deren Hilfe reichte vom monatelängen Säubern von Weinflaschen über die spontane Einrichtung eines Spielplatzes für Kinder bis hin zur Hilfe für Betroffene beim Wiedereinstieg in den Alltag. „Da ging es nicht um Aktionismus, sondern um Nachhaltigkeit“, unterstreicht Strohe die Wichtigkeit Lebensqualität wiederaufzubauen.
Neubau in Mayschoß
Abgerissen werden für den Wiederaufbau soll indes der komplette Altbau der Winzergenossenschaft in Mayschoß. Das teilte Kellermeisterin Astrid Rickert mit und kündigte das Anrücken der Bagger schon für Ende Juli an. Für den Neubau greife die Genossenschaft unter anderen auf eine Studie von Architekturstudenten zurück, die diese vor einigen Jahren erstellt hätten. Das Investitionsvolumen bezifferte Rickert mit rund 23 Millionen Euro. Die Fertigstellung sei für 2027 avisiert.
GS