Stolpersteine in Bad Hönnigen verlegt
Erinnerung an ermordete Mitglieder dreier jüdischer Familien
Bad Hönningen. Der Künstler Gunter Demnig verlegte am 25. Juni sogenannte Stolpersteine in den Gehwegen vor den Eingängen der Häuser Bischof-Stradmann-Straße 9 und Neustraße 24. Mitte 2020 stimmte der Stadtrat einem Antrag aller im Rat vertretenen Fraktionen zur Verlegung der Stolpersteine zu. Mit ihnen wird der Mitglieder der Familie Wolf (Neustraße) sowie der Familien Jakobsohn und Heymann (Bischof-Stradmann-Straße, ehemals Kaiser-Wilhelm-Straße) gedacht, die 1942 und 1943 aus ihrer Bad Hönninger Heimat deportiert und 1942 und 1943 in den Konzentrationslagern Auschwitz, Treblinka und Theresienstadt ermordet wurden. Im September soll die Verlegung der nächsten elf Stolpersteine in Bad Hönningen erfolgen.
Steine mit Messingplatten gegen das Vergessen
„Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, zitiert Demnig den Talmud, das „Lehrbuch des Judentums“, in dem die Texte der jüdischen Bibel erläutert werden. Gegen dieses Vergessen richtet sich das inzwischen größte Flächendenkmal Europas. Mitte der Neunzigerjahre begann der 1947 geborene und in Berlin aufgewachsene Künstler Gunter Demnig mit der Verlegung der inzwischen deutschland- und europaweit als Markenbegriff geschützten Stolpersteine. Es sind Gehwegsteine mit 10 x 10 cm Kantenlänge, die eine gravierte und polierte Messingplatte als Haube besitzen, die mit dem Stein nahezu unlösbar verbunden ist. Auf dieser Platte finden sich der Name desjenigen, der in dem Haus, vor dem der Stein verlegt wird, einst wohnte, sein Geburtsdatum sowie in der Regel das Datum der Deportation und das Datum und der Ort der Ermordung. Demnig will so die Menschen nicht in Vergessenheit geraten lassen.
„Gedenksteine vor dem Haus sind sehr bedeutsam“
Im Beisein der Steinpaten, rund 130 Euro kostet ein Stein, den Demnig in inzwischen vier Werkstätten auf Auftrag produziert und auch verlegt, begrüßte Stadtbürgermeister Reiner W. Schmitz die der Verlegung beiwohnenden Gäste. Darunter auch Willi Schüller, der die Geschichte der Familien, für die nun die Gedenksteine verlegt wurden, historisch aufbereitet und dokumentiert hat. Sein Urgroßvater war auch Jude; „er starb vor dem Naziterror, aber sein Bruder und seine Schwester sind in der Shoa umgekommen“, sagt Schüller. Auch unter den Gästen: die Geschwister Ute Lotzmann und Doris Dixson-Lotzmann. Ihre Großeltern pachteten zunächst 1938 die Metzgerei von der Familie Jakobsohn, als diese noch vor Inkrafttreten der „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ den Betrieb, Metzgerei und Viehhandel, aufgaben. 1941 kauften die Großeltern der Geschwister Lotzmann dann das Haus in der damaligen Kaiser-Wilhelm-Straße 9 von der Familie Jakobsohn. „Unsere Großeltern haben sich gut mit den Jakobsohns verstanden, die wohnten ja auch noch in dem Haus, als unsere Großeltern die Metzgerei darin betrieben“, sagt Ute Lotzmann zu BLICK aktuell. „Für uns ist die Verlegung dieser Gedenksteine vor dem Haus sehr bedeutsam“, ergänzt Doris Dixson-Lotzmann. Es würde an das unerträgliche Schicksal der Menschen erinnert „und sie bekommen nun wieder eine Präsenz in der Stadt“, so Dixson-Lotzmann weiter. Beiden Geschwistern war das Schicksal der der jüdischen Familien aus dem Haus bekannt. Man habe oft in der Familie darüber gesprochen.
Entrechtet, verschleppt und ermordet
In seiner Ansprache stellte Reiner W. Schmitz die Menschen vor, denen die Steine gewidmet sind. In der Bischof-Stradmann-Straße sind dies: Samson Jakobsohn, seine Frau Ernestine, deren Sohn Max und dessen Frau Hedwig. Während Samson Jakobson, schon gedemütigt und entrechtet, im Dezember 1939 durch Krankheit starb, wurde seine Frau im August 1942 in Theresienstadt ermordet. Sein Sohn und seine Schwiegertochter wurden im KZ Auschwitz im Juli 1942 umgebracht. Als Schmitz die Kinder von Max und Hedwig erwähnte, brach seine Stimme. Sie fanden den Tod, wie ihre Eltern auch im Juli 1942, in den Gaskammern Auschwitz‘. Im Alter von nur sechs (Hedwig) und elf Jahren (Helmut Jakobsohn). Max Jakobsohns Schwester, Henriette Jakobsohn, verheiratete Heymann, suchte 1939 mit ihrem Mann Wilhelm Isidor Heymann und dem gemeinsamen Sohn Günther von Recklinghausen aus kommend Zuflucht bei den Eltern in Bad Hönningen. Aber auch sie wurden deportiert – „ausgesiedelt“, wie es in der zynischen Amtssprache der „Richtlinien zur technischen Durchführung der Evakuierung von Juden aus dem Generalgouvernement“ hieß. Auch sie starben. Im Juli 1942 in den Gaskammern von Auschwitz.
Die in der Neustraße verlegten Steine sind dem Ehepaar Abraham und Johanna Wolf gewidmet. Johanna Wolf, deren stadtbekannte Herzensgüte und Großzügigkeit 1968 ein Zeitungsartikel gewidmet wurde, war unter dem liebevollen Spitznamen „Hannchen“ bekannt. Verbandsbürgermeister Jan Ermtraud, auch unter den Gästen bei der Verlegung, las den seinerzeitigen Artikel von Toni Rüssel vor. Johanna Wolf zu Ehren wurde eine Straße in Bad Hönningen benannt. Abraham starb 1942 in Treblinka, Johanna im Juni 1943 in Theresienstadt.
Demnig hat inzwischen über 100.000 Stolpersteine in knapp 1.300 Kommunen Deutschlands und 21 Ländern verlegt.
Nun liegen auch elf Steine in den Straßen Bad Hönningens. Für elf Namen von elf Menschen. Deren elf Schicksale allen Passanten in Erinnerung bleiben mögen, wünschte sich Reiner W. Schmitz.