Ausstellung des Willy-Brandt-Forums zu russischen Speziallagern in der SBZ
„Erhebe den Blick“ - Speziallager Jamlitz
Rund 30 Monate war die Mutter des Unkelers Christian Rosenzweig als Jugendliche in Jamlitz inhaftiert
Unkel. Annähernd 200.000 Menschen wurden in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) zwischen 1945 und 1955 in Gefängnissen des sowjetischen Geheimdienstes, darunter zehn Speziallager des „Volkskommissariats für innere Angelegenheiten“ (NKWD) inhaftiert. Eins dieser Speziallager war Jamlitz, wo bis zur Auflösung im April 1947 deutsche Zivilbevölkerung festgehalten wurde, neben ehemaligen Mitgliedern der NSDAP in erster Linie viele willkürlich Verhaftete, auch Jugendliche, bei denen allein schon die Mitgliedschaft in der Hitlerjugend oder im Bund deutscher Mädchen (BDM) reichte, und vor allem politisch Missliebige, die der Errichtung des stalinistischen Systems in der SBZ kritisch gegenüberstanden oder im Wege hätten stehen können.
Zu den Inhaftierten in Jamlitz gehörte etwa Justus Delbrück, der wie sein Schwager, Klaus Bonhoeffer, am Widerstand gegen die Nationalsozialisten beteiligt gewesen war. Prominentester Häftling war wohl der Schauspieler Gustaf Gründgens. Zu den Jugendlichen zählte auch die 18-jährige Christa Maliga aus Lübben/Spreewald, die zusammen mit ihrer Klasse und Lehrer Richter am 4. Dezember 1945 inhaftiert worden war. „Ihr Sohn Christian Rosenzweig lebt heute in Unkel und ist zusammen mit seiner Lebensgefährtin, Gabriela Mrozik, Impulsgeber des heutigen Abends“, so der Leiter des Willy-Brandt-Forums, Christoph Charlier kürzlich. Begrüßen konnte er im Seminarraum neben interessierten Zuhörern als Gastredner den Historiker Andreas Weigelt, der als Leiter der Dokumentationsstelle „Lager Jamlitz“ mit seinem Vortrag „NS-KZ und sowjetisches Sonderlager“ die von ihm 2010 zusammengestellte Wanderausstellung „Erhebe den Blick“ eröffnete.
Diese zeigt im Multifunktionsraum noch bis Ende des Monats künstlerische und literarische Zeugnisse von Speziallager-Gefangenen in 30 Mappen, die thematisch gegliedert auf Aspekte wie Verhaftung und Verhöre, Transporte und Lager, Hunger und Leid, Bewacher und Alltag, sowie Deportation, Flucht und Entlassung eingehen. „In einem Vertraulichen Bericht an das Norwegische Außenministerium berichtete der Presseattaché der Norwegischen Militärmission in Berlin, Willy Brandt, über die Existenz von 13 größeren Konzentrations- und Zwangsarbeitslager in der russischen Zone“, erinnerte Christoph Charlier. Zu diesen habe eben auch das im 25 Kilometer nördlich von Cottbus gelegene Jamlitz gezählt. Eingerichtet als Sonderlager Nummer sechs habe es der sowjetische Geheimdienst im September 1945 auf dem Gelände und in den Baracken des ehemaligen Konzentrationslagers Lieberose, einem Außenlager des KZ Sachsenhausen.
„Absonderlichkeiten deutscher Despotie“
„Es zählt zu den Absonderlichkeiten deutscher Despotie, dass in ein und demselben Lager unter ideologischen Vorzeichen, wie sie entgegengesetzter nicht sein können, Menschen drangsaliert, gepeinigt und getötet wurden“, hob er hervor. Von der Existenz der Speziallager in der SBZ habe er erst in den 80er Jahren durch den Roman „Jahrestage“ von Uwe Johnson erfahren. In der DDR-Zeit wurde die Nutzung des Lagers Jamlitz durch die sowjetische Besatzungsmacht verschwiegen, die abgerissenen Baracken wichen kleineren Wohnhäusern, die auf dem Gelände errichtet wurden.
„Angesichts von 27 Millionen Toten wollte die Sowjetunion nicht Deutschland befreien, sondern bezwingen. Nach der Deportation von 200.000 Deutschen in den völlig verstörten europäischen Teil des Landes als Reparationsleistung ging es in der SBZ zur Säuberung des Hinterlandes der kämpfenden Truppen der Roten Armee von feindlichen Elementen“, erklärte Andreas Weigelt. Von den laut den russischen Behörden insgesamt 10.300 Insassen sollten dort nach den übergebenen Totenlisten in knapp zwei Jahren mindestens 3.380 gestorben sein, Andreas Weigelt geht von 18.000 Inhaftierten aus, der Historiker Jan von Flocken nannte 1991 etwa 5000 Tote.
Mangelnde hygienische Versorgung, vor allem aber Unterernährung kennzeichneten die verheerenden Haftbedingungen in Jamlitz. So sei im Herbst 1946 die 400-Gramm-Ration Brot noch einmal halbiert worden. Die Folge: Allein im Februar 1947 starben in den Speziallagern durchschnittlich 25 Menschen, insgesamt 699.
„Die Inhaftierten waren zur absoluten Untätigkeit verurteilt und zudem von der Außenwelt total isoliert“, berichtete Andreas Weigelt. Rundfunk, Zeitungen, Papier, Schreibmaterialien oder Kontakte zu Angehörigen gab es nicht, sodass die Ungewissheit über das Schicksal ihrer Familien die Häftlinge zusätzlich zermürbte. Entsprechend war aber auch für Charlotte und Paul Maliga ihre Tochter im Dezember urplötzlich verschwunden. Wie andere betroffene Mütter aus Lübben und Lübenau machten sie sich intensiv auf die Suche, die auch Erfolg hatte im Gegensatz zu einer Unterschriftensammlung, in der sie Anfang 1947 die Haftentlassung forderten.
Christa Maliga - einzige Überlebende
Als Grund für die Inhaftierung von Christa Maliga wurde lange Zeit ihre überzeugte Mitgliedschaft im BDM angegeben. Dagegen war sie von ihrer jüngeren Schwester Brigitte dem Leiter der Dokumentationsstelle als überaus aufmüpfiges BDM-Mitglied beschrieben worden, das nur ungern Befehl befolgt, aber gerne erteilt habe und im Grunde immer ihrer Überzeugung gefolgt sei. Die wahren Gründe wurden erst bekannt, lange nachdem Christa Maliga als einzige Überlebende ihrer Klasse im Juli 1948 entlassen worden war. 1949 hatte sie Eberhard Rosenzweig geheiratet und war mit ihm nach Bonn-Duisdorf gezogen. Nachdem ihr Status als politischer Häftling 1954 nicht anerkannt worden war, hatte ihr Mann Anfang der 70er Jahre einen Antrag auf Häftlingshilfeleistung gestellt, in dem er konkretere Angaben zu der Verhaftung im Dezember 1945 gemacht hatte.
„Nicht die Mitgliedschaft im BDM, sondern den Versuch der Jugendlichen, Waffen und Munition vor den Russen sicherzustellen, wurden nun angegeben. Außerdem berichtete Christa Rosenzweig nun, dass die Jugendlichen auch versucht hätten, schriftlich Kontakt mit einer amerikanischen Behörde in Westberlin aufzunehmen“, berichtete Andreas Weigelt. Der Brief sei einem Bekannten übergeben worden, der die Jugendlichen dann denunziert habe. Der Mann sei ihr zwar bekannt gewesen, preisgegeben habe sie seinen Namen jedoch nicht, ergänzt Andreas Weigelt.
„Studieren Sie vor allem die Zeichnungen, auch wenn diese Quellen nachträglich entstanden sind, da Papier und Bleistift in den Lagern verboten waren. Im Gegensatz zu den Gedichten wie das 1949 von Siegfried von Sivers veröffentlichte, nach dessen Titel ich auch die Ausstellung benannt habe, konnten sie ja nicht im ‚Original‘ im Gedächtnis in Freiheit mitgenommen werden“, lud der Leiter der Dokumentationsstelle Jamlitz zum Besuch der Ausstellung ein.
DL